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Zivilgesellschaftliches Bündnis fordert Taten für die zweite Hälfte der Legislaturperiode

Die Free Software Foundation Europe (FSFE) fordert mit einem Bündnis aus Zivilgesellschaft und Freie-Software-Wirtschaft die Bundesregierung auf, eine nachhaltige, soziale Digitalpolitik umzusetzen und im Bundeshaushalt jetzt die nötigen Mittel bereitzustellen.

Berlin, 29. August 2023 – Der Rat für Digitale Ökologie (RDÖ) zieht eine negative Halbzeitbilanz für die Digitalpolitik der Bundesregierung und fordert gemeinsam mit 20 Akteuren aus der Zivilgesellschaft und Freie-Software-Wirtschaft: Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen im Bundestag müssen jetzt dringend ihre digitalpolitischen Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umsetzen. Dafür müssen sie im Haushalt 2024 ausreichend Mittel bereitstellen. Zudem muss die Zivilgesellschaft stärker in Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Es gibt in dieser Legislatur noch ein kurzes Zeitfenster dafür, Deutschland auf einen nachhaltigen, inklusiven und sozialen digitalpolitischen Kurs zu lenken. Diese Chance darf die Regierung nicht vertun.


Die Bundesregierung ist vor zwei Jahren mit einem guten und vielfach gelobten digitalpolitischen Programm angetreten, das einen Kurswechsel und eine erfolgreichere, nachhaltige, inklusive Digitalisierung versprach. Zur Hälfte der Wahlperiode lässt dieser Kurswechsel leider weiter auf sich warten. Die Ampel hat bisher nur wenige Projekte angestoßen und plant, diese im Haushalt für das kommende Jahr sogar schmerzlich zusammenzusparen. Damit droht am Ende der Legislatur ein digitalpolitisches Scheitern und ein langfristiger Schaden für Gesellschaft und Wirtschaft.

Die Forderungen des RDÖ für die zweite Hälfte der Legislaturperiode lauten daher:

Echte Transparenz schaffen: Der Rat für Digitale Ökologie fordert, dass das Innenministerium die im Koalitionsvertrag angekündigte Fortentwicklung des Informationsfreiheitsgesetz angeht und einen entsprechenden Entwurf vorlegt. Dazu gehört ein Transparenz-Portal des Bundes, das der interessierten Öffentlichkeit die Daten der öffentlichen Verwaltung erschließt. Damit würde die seit 2006 in Gesetzestext gegossene Idee des transparenten Staates auch als Praxis etabliert werden: Bürger:innen, Medien oder NGOs können die Handlungen des Staates einfacher nachvollziehen, während die Behörden durch die einheitliche Lösung entlastet werden.
Auch bei den Apps, die wir im Alltag ständig nutzen, braucht es mehr Transparenz. Die Pflicht einer plattformübergreifenden „inspectability API“ würde verhindern, dass ein immer größerer Teil unserer Online-Aktivitäten in nicht einsehbaren, proprietären Blackboxes vonstatten gehen und mehr Nachvollziehbarkeit und Möglichkeiten zur Einflussnahme für staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure mit sich bringen.

Daten teilen: Die Bundesregierung sollte einen Entwurf für ein Datenzugangsgesetz auf den Weg bringen, das den Zugang zu Daten von Unternehmen zum Standard erhebt. Ein datenschutzkonformes Teilen von Daten hätte nicht nur immensen Wert für unabhängige Forschung, es würde auch Monopole aufbrechen und den Grundstein legen, um der Dominanz der amerikanischen Tech-Konzerne eine schlagkräftige europäische Antwort entgegenzusetzen. Als erster Schritt sollte eine Sachverständigen-Anhörung zu dem Thema einberufen werden, um zu signalisieren, dass dieses Thema auf der Agenda steht. Für Gesundheitsdaten gibt es bereits Pläne, diese besser für die Forschung zu erschließen. Das Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz sollte beschleunigt werden und schnell ins Kabinett gebracht werden.

Digitalisierung nachhaltig gestalten: Der bereits heute erhebliche Energie- und Ressourcenbedarf von Informations- und Kommunikationstechnologien wird in den nächsten Jahren stark zunehmen. Umso wichtiger sind ehrgeizige und verbindliche Energiestandards für Endgeräte und Rechenzentren, aber auch für maschinelles Lernen und Software. Bei der Fertigung von IKT sollten im Kreislaufwirtschaftsgesetz Standards festgelegt werden, welche die Wiederverwendung von Bauteilen und Rohstoffen ermöglichen. Des Weiteren muss das geplante Energieeffizienzgesetz wirkungsvoll gestaltet werden, um echte Dekarbonisierungs-Effekte zu erzielen.

Öffentliche Beschaffung als Hebel nutzen: Die Bundesregierung sollte ein Gesetz zu den Anforderungen an die öffentliche Beschaffung vorlegen. Diese wird in Zukunft verpflichtet, den Zielen „Förderung der digitalen Souveränität“, „IT-Sicherheit“, „Open Source“ sowie „Green IT“ zu dienen. Es müssen Ausschreibungsbedingungen formuliert werden, die europäische Standards aus diesen Bereichen hochhalten und Labels wie das IT-Sicherheitskennzeichen oder das Umweltzeichen „Blauer Engel“ voraussetzen.

Den Digital Services Act vorbildlich implementieren: Dazu gehört etwa, dass die Zuständigkeiten im Vorfeld geklärt werden. Die dafür vorgesehene Stelle des Digital Services Coordinator sollte möglichst viele Kompetenzen auf sich vereinen, um eine wirksame Arbeit gewährleisten zu können und den Koordinationsaufwand gering zu halten. Auch hier ist die Einbindung der Zivilgesellschaft wichtig, u.a. als Kontrollmechanismus und zur Einbringung von wertvoller Expertise, und sollte gesetzlich festgeschrieben werden.

Riskante Bildschirmzeit reduzieren: Um der kommerziell gewollten, aber gesundheitlich problematischen Dauernutzung und psychischen Abhängigkeit von sozialen Medien entgegenzuwirken, sollte den großen Plattformen vorgeschrieben werden, dass nach einer gewissen Nutzungsdauer automatisch Pausen vorgeschlagen oder implementiert werden. Zu diesem Thema wird der RDÖ noch dieses Jahr ein umfassendes Positionspapier veröffentlichen, das den neurowissenschaftlichen Stand der Forschung zum Suchtpotential von Social-Media-Plattformen und regulatorische Empfehlungen enthält.

Gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen: Die Regierung soll in Kooperation mit den Ländern Bildungsprojekte anstoßen, denn digitale Bildung ist politische Bildung. Ein gutes Beispiel ist das „Bildungszentrum Datenschutz und Informationsfreiheit Baden-Württemberg“, das als Anlaufstelle für Fragen dient und Debatten anstößt. Die Bevölkerung soll außerdem konkret in digitalpolitische Planungs- und Entscheidungsprozesse integriert werden, etwa mit dem Einsatz von Planungszellen oder Formen von Online-Bürgerbeteiligung.

Überwachung unterbinden: Die Gesamtanalyse der Überwachungsgesetze muss gewissenhaft weitergeführt werden. Weiterhin sollte die Bundesregierung sich wie im Koalitionsvertrag versprochen und wie von den zuständigen Ausschüssen zum AI Act des EU-Parlaments empfohlen, gegen eine biometrische Fernidentifikation in Echtzeit positionieren.

Eine Übersicht aller Organisationen, die am 29.08.2023 eine digitalpolitische Halbzeitbilanz der Arbeit der Bundesregierung gezogen haben, findet sich auf der Webseite der Free Software Foundation Europe: https://fsfe.org/news/2023/news-20230829-01.de.html

 

Pressekontakt:

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+49 (0)30 / 397 177 09

 

Der Rat für Digitale Ökologie (RDÖ) ist ein Projekt von Futurzwei. Stiftung Zukunftsfähigkeit – gefördert von Allianz Foundation und Schöpflin Stiftung.

Web rdoe.org/presse | Twitter @rdoe_org | LinkedIn Rat für Digitale Ökologie

 


Über den Rat für Digitale Ökologie:

Der RDÖ setzt sich ein für eine gesamtheitliche Digitalpolitik, die sich am Gemeinwohl orientiert und auf Teilhabe und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist. Dazu verfasst er Studien, gibt Empfehlungen an die Politik, führt Veranstaltungen durch und stößt zivilgesellschaftliche Bündnisse an. 

Ausgangspunkt für die Gründung des Rates war die Erkenntnis, dass die Politik oft nur Einzelaspekte der digitale Transformation betrachtet, obwohl diese längst sämtliche Lebensbereiche durchdringt. Für den Rat ist die entscheidende Frage, ob es uns gelingt, die Digitalisierung nach unseren Werten und Normen zu gestalten – oder ob sich die Abhängigkeit von wenigen globalen IT-Konzernen weiter verstärkt.

Zum Rat gehören: Datenschützer Dr. Stephan Brink, Stadtplanungsexpertin Prof. Dr. Vanessa Miriam Carlow, Transformationsforscherin Prof. Dr. Maja Göpel, Menschenrechtsanwalt Dr. Wolfgang Kaleck, Prof. Andrea Krajewski, Designerin für Mensch-Computer-Schnittstellen, Prof. Dr. Johannes Merck, Vorstandsvorsitzender der Umweltstiftung Michael Otto, Unternehmer Dr. August Oetker, Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Frederike Petzschner, Informatiker Prof. Dr. Peter Reichl, der Experte für nachhaltige Digitalisierung Prof. Dr. Tilman Santarius, Sozialpsychologe Prof. Dr. Harald Welzer sowie die Vorstandsvorsitzende der Entega AG, Dr. Marie-Luise Wolff.