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Ein Staubsaugerroboter fotografiert eine Frau auf dem Klo: Wie auch noch die Wohnung zur Datenquelle für das Silicon Valley wird.

Vor Kurzem kursierte ein leicht unscharfes Foto im Netz, auf dem eine Frau mit heruntergelassener Hose auf einer Toilette sitzt. Lila T-Shirt, die Hände noch an der knielangen schwarzen Hose, so, als hätte alles schnell gehen müssen. Zunächst wirkt es wie eine gewohnte Situation, ein alltäglicher Toilettengang zu Hause, doch irgendwas ist hier nicht business as usual. Die intime Nähe von wenigen Zentimetern zwischen Frau und Schauendem irritiert, ebenso der leicht von unten hinaufschauende Blickwinkel. Wer guckt denn da? Vielleicht sieht so ein auf dem Boden sitzendes Kleinkind die Mutter beim Toilettengang.

 Die Bildunterschrift gibt eine andere Antwort: »Mensch auf dem Klo, gefilmt von einem Roomba.« Hier blickt also »Roomba«, ein 2002 eingeführter Staubsaugerroboter und stetig wachsender Marktführer seiner Art, der weniger lästige Hausarbeit verspricht. Die Website preist selbstbewusst seine Vorzüge, denn er mache »die ganze Arbeit für dich – und zwar richtig«, sodass »du keinen Finger rühren musst«. So weit, so das Versprechen. So what?

Von einer Testnutzerin aufgenommen, wurde das Bild von venezolanischen Arbeiter:innen auf Facebook hochgeladen, auch wenn sie damit eigentlich nur die KI des Roomba verbessern sollten. Abgesehen davon, dass es sich um einen datenschutzrechtlich sehr bedenklichen Fauxpas handelt, verdeutlicht das Foto so einiges über das Wohnen in unseren technisch geprägten Umwelten. Gemeinhin gehen wir noch immer davon aus, dass unsere Wohnung und die darin sorgfältig kuratierten Möbel und Gegenstände uns lediglich passiv umgeben. Das durch den Roomba aufgenommene Foto zwingt zum Perspektivwechsel: Da ist ein Ding aktiv, fotografiert uns, ohne dass wir es mitbekommen. Was wäre also, wenn diese Wohnung und all die in ihr verwahrten Dinge eben nicht nur verwahrt sind, sondern aktiv an unserem Selbst und Sein mitschreiben? Tatsächlich schaut uns der Roomba an, sammelt Daten für gewinnorientierte Unternehmen, putzt auch noch unsere Bude »richtig«.

Auch wenn wir im Alltag über das Wohnen kaum nachdenken, ist es eine aktive Tätigkeit. Es gibt einen vielzitierten Merksatz: »Sag mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist.« Die Idee dahinter ist wenig überraschend, denn sie besagt nicht mehr, als dass die von uns unmittelbar gestaltete, private Umgebung Rückschlüsse auf unseren Charakter zulässt. Mithilfe des Interieurs versuchen wir uns inmitten einer chaotisch-überfordernden Gegenwart einzurichten, nicht zufällig heißt es »Einrichtung«. Eben dies ist hier entscheidend: Wohnen ist weder gottgegeben noch Naturzustand, ›ist‹ nicht einfach so da. Es ist eine ausdauernd vollzogene Praxis, die permanent eingeübt wird, wie ein strammer Bizeps oder saubere Achseln.

An der Praxis des Wohnens ist wiederum aktiv unsere technische Umwelt beteiligt. Wie wir wohnen, ist gar das Produkt von technischen Abhängigkeiten: Seit der bürgerlichen Moderne und dem dazugehörigen Privatheitsideal ist Wohnen ohne Gas- und Elektrizitätsleitungen, ohne Wasserab- und zuflüsse, ohne Radiowellen, ohne Internet- und Fernsehanschluss undenkbar. All dies ist Teil einer technischen Umwelt, die wir Wohnung nennen, mit der wir uns auseinandersetzen müssen, die uns in Abhängigkeiten verstrickt.

Die Auseinandersetzung mit einem recht passiven Wasserhahn fällt ohne größere Anstrengung zugunsten der Bewohner:innen aus, wir hinterfragen diese Abhängigkeit nur, wenn er tropft und repariert werden muss. Die Irritation um den Roomba verdeutlicht diesbezüglich einen Qualitätssprung: Hier wird das Wohnen abhängig von aktiv unsere Wahrnehmung und unser Verhalten modifizierenden, ›intelligenten‹ Technologien. Das entspricht sozialen Medien, die fragwürdige Urlaubsfotos unserer Bekanntschaften oder Nachrichten für uns organisieren. Diese neuen technischen Umwelten erzeugen eine Abhängigkeit vom Silicon Valley, von seinen Produkten, seinem Menschenbild, seinen Gewinnerwartungen.

Somit erlangt der Satz »sag mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist« durch die permanente Datenerfassung und -verarbeitung eine zweite Bedeutung, die besonders für die dahinter liegenden Unternehmen interessant ist. Digital wird vermessen, wo und wie wir wohnen, und so wird diese identitätsstiftende Praxis zusehends fremdbestimmt. Wie wertvoll die Vermessung unserer Privaträume für das Trainieren zukünftiger KIs ist, lässt sich durch jene 1,7 Milliarden US-Dollar erahnen, die Amazon im August 2022 für den Kauf des ehemals privacy-freundlichen Unternehmens iRobot ausgegeben hat, Hersteller des über 40 Millionen Mal verkauften Roomba-Saugroboters. Auch wenn einige Kunden beklagen, dass Roomba nicht immer richtig putzt, lässt sich allemal feststellen, dass der Saugroboter Amazons Interesse der Datensammlung außergewöhnlich richtig umsetzt.


 

Gemina Picht und Volker Bernhard gehören zum Arbeitskreis für zukunftsfähige Digitalität, der mit dem Rat für digitale Ökologie zusammenarbeitet. Der Arbeitskreis hinterfragt digitale Entwicklungen aus sozialökologischer Perspektive.

Dieser Artikel erschien zuerst in der taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik, Ausgabe 25