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Bei der Digitalpolitik reden fast nur die Interessenvertreter mit, die wirtschaftlich von Digitaltechnologien profitieren. Das muss sich ändern.

Digitalpolitische Strategien haben Konjunktur und das nicht erst, seit der Corona-Lockdown das Homeoffice, Videostreaming und Onlineshopping in fast alle deutschen Haushalte brachte. Die Bundesregierung verspricht in ihrer Digitalstrategie den "digitalen Aufbruch" und die Durchdigitalisierung in Schulen, Arztpraxen und Verwaltungen. Schlaue Geräte, ausgefuchste Algorithmen und das Internet der Dinge sollen die Wirtschaft florieren lassen.

Schlaue Geräte, ausgefuchste Algorithmen und das Internet der Dinge sollen die Wirtschaft florieren lassen. Die deutsche Digitalpolitik möchte sich auch für »ein Internet als freien, demokratisierenden Raum mit einer globalen, digitalen Ordnung auf Basis der Menschenrechte« einsetzen. Doch gleichzeitig beflügelt künstliche Intelligenz die Totalüberwachung, und die Blockchain verbraucht so viel Energie wie ganze Staaten. Warum fallen die Ideale eines freien Netzes, Persönlichkeitsrechte der Nutzer*innen sowie Umwelt- und Klimaziele immer wieder dem Nutzen der Konzerne und dem Credo des Wirtschaftswachstums zum Opfer?

Welche politischen Entscheidungen zur Digitalisierung getroffen werden – und wie nachhaltig und sozial diese sind – hängt davon ab, wer mitreden darf. In der politischen Zone sind vor allem jene Protagonisten des digitalen Wandels, die wirtschaftlich von Digitaltechnologien profitieren. Und ihren Einfluss lassen sie sich einiges kosten. Die zehn größten Digitalkonzerne geben auf EU-Ebene 32 Millionen Euro für Lobbyismus aus und haben längst die Öl-, Gas- und Pharmaindustrie aus den Top-Ten-Listen der größten Lobbyisten in Brüssel verdrängt. Mit scheinbar neutralen Thinktanks beeinflussen die Digitalriesen die europäische Digitalpolitik. Wirtschafts- und Industrieinteressen sind prioritär, Kritik wird als innovationshemmend abgetan. Auch die Bundesregierung lässt Automobil- und Industrieverbände bei der Digitalstrategie kräftig mitmischen, während die Zivilgesellschaft außen vor bleibt. Wen wundert es da, dass autonom fahrende Autos vom zuständigen Ministerium als wichtigste Maßnahme zur zukünftigen Mobilität auserkoren wurden. Dass diese datenhungrige Form der individuellen Mobilität weder einen nennenswerten Beitrag zur Verkehrswende noch zu einer nachhaltigen Digitalisierung leistet, scheint niemanden zu stören. Zumindest niemanden von denen, die mitreden durften.

Warum lässt die deutsche Politik bei der Digitalisierung die digitale Zivilgesellschaft, Sozial- und Umweltverbände noch immer außen vor? Der Schutz vor Überwachung und Desinformation, Datenschutz und Persönlichkeitsrechte, Umweltschutz und globale Gerechtigkeit sind kein nettes Beiwerk. Sie sind das Fundament einer gerechten und demokratischen Gesellschaft. Wenn wir als Gesellschaft das Ziel haben, öffentliche Interessen vor private Interessen zu stellen und wenn der digitale Raum ein Ort für freie und offene Technologien sein soll, dann muss die Zivilgesellschaft mehr Mitspracherecht bekommen.

Gemeinschaftliche Visionen der digitalen Zivilgesellschaft zeigen bereits Schritte auf, wie der digitale Wandel zukunftsfähig werden kann. Das Bündnis Bits & Bäume hat einen umfangreichen politischen Forderungskatalog vorgelegt, der sehr konkrete Vorschläge und Gestaltungspfade enthält. Diese Pfade können nicht mehr gegangen werden, wenn die Abhängigkeit von großen Tech-Giganten bereits unüberwindbar geworden ist. Wenn Zivilgesellschaft wirksam und systematisch beteiligt werden soll, dann bedeutet das erstens Lobbytransparenz und demokratische Kontrolle politischer Einflussnahme. Zweitens sind neue Finanzierungsformen für zivilgesellschaftliches Engagement längst überfällig. Drittens kann die politische Macht großer digitaler Plattformen und Konzerne nur eingeschränkt werden, wenn Interessenvertretung von finanziellen Ressourcen unabhängig gemacht wird. Das kann beispielsweise durch verbindliche Quotierungen in Beteiligungsformaten ermöglicht werden.

... und die Digitalstrategie? Mittlerweile hat die Bundesregierung einen Beirat aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft einberufen, um die Umsetzung der Digitalstrategie zu begleiten. Das geht in die richtige Richtung, und es wird sich zeigen, ob der Beirat die Interessen der Zivilgesellschaft durchsetzen kann. Wir sind jedoch weit entfernt davon, Interessenvertretung – auch und gerade in der Digitalpolitik – systematisch und konsequent so zu organisieren, dass nicht das Lobbybudget, sondern die gesellschaftliche Relevanz entscheidend ist. Die Deutungs- und Gestaltungsmacht für den größten Veränderungsprozess unseres Zeitalters – den digitalen Wandel – kann und darf nicht großen Konzernen und Industrieverbänden überlassen werden. Die »Bits & Bäume«-Konferenz im vorigen Jahr hat gezeigt: Die Zivilgesellschaft hat einiges zu sagen. Nun muss die Politik hinhören. Digitalpolitik muss endlich auch als Umwelt- und Gesellschaftspolitik verstanden werden.


 

Vivian Frick und Friederike Rohde gehören zum Arbeitskreis für zukunftsfähige Digitalität, der mit dem Rat für digitale Ökologie zusammenarbeitet. Der Arbeitskreis hinterfragt digitale Entwicklungen aus sozialökologischer Perspektive.

Dieser Artikel erschien zuerst in der taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik, Ausgabe 24