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Bewusste Ernährung und bewusstes Digitalverhalten haben Parallelen – im Schlechten wie im Guten
Während die Nahrungstrends zwischen mindful eating und hyggeligem Rezeptefetisch pendeln, landen die Fotos der gezauberten Leckereien bei Instagram: Achtsamkeit taugt dieser Tage nicht nur bei Biobeeren und Milchersatz zum Distinktionsgewinn, und doch treiben wir zugleich die digitale Totalökonomisierung jeder Lebensregung gleichmütig voran. Ohne Frage sind Datenschutz und Verbraucher:innenrechte Gemeinschaftsaufgaben für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zugleich können auch individuelle Entscheidungen im digitalen Raum eine ungeahnte Gestaltungsmacht entfalten, wie eine lehrreiche Abstimmung mit den Füßen zu Beginn dieses Jahres zeigt.

Nachdem Facebook im Jahr 2014 durch den Kauf von WhatsApp für sagenhafte 19 Milliarden US-Dollar das globale Instant-Messaging völlig dominierte, schloss man zur Besänftigung eine dienstübergreifende Zusammenführung personenbezogener Daten aus. Als der Konzern eben dies 2016 trotz seines Versprechens und gegen Widerstände der Behörden durchzusetzen versuchte, nahmen die Nutzer:innen den Wortbruch noch gleichmütig hin. Auch durch Netzwerkeffekte wechselten die wenigsten zu einer datenschutzsensiblen Alternative, denn diese hatten im Gegensatz zu WhatsApp das Manko »zu wenige Nutzer:innen«.

Doch als im Januar dieses Jahres die neuen Nutzungsbedingungen festlegten, dass WhatsApp ohne ausdrückliche Zustimmung zur Übertragung von Daten an den Mutterkonzern nicht mehr benutzt werden könne, wurde die App massenweise von den Smartphones gelöscht. Ein ungeahnter Wechselwille erfasste das digitale Dorf. Mit genauen Zahlen will Facebook die geschäftliche Schlappe nicht untermauern, jedoch bekamen alternative Messengerdienste wie Signal, Threema oder Telegram ungeahnten Zulauf. Goldstandard aller Alternativen bleibt Signal, das von einer gemeinnützigen, spendenfinanzierten Organisation betrieben und von der Black-Lives-Matter-Bewegung, Edward Snowden und Elon Musk prominent beworben wird. Der Dienst speichert keine Metadaten und kann somit keine Profile anlegen, nur der Zeitpunkt der Kontoerstellung sowie der letzte Login werden gespeichert.

Dennoch verzichtet trotz gefährdeter informationeller Selbstbestimmung nur ein kleiner Teil der Nutzer:innen auf liebgewonnene digitale Dienstleistungen. Die Erforschung des »Privacy Paradox« zeigt, dass dieses Phänomen mit der Einstellungs-Verhaltenslücke zu tun hat: Menschen geben ihre persönlichen Daten gutmütig weiter, obwohl ihnen Datenschutz wichtig ist. Dieses paradoxe Verhalten zeigt sich auch beim Nicht-Kauf von Bio-Lebensmitteln. Menschen sagen zwar, dass sie Monokulturen und Massentierhaltung ablehnen, aber kaufen weiterhin billige Nahrungsmittel aus konventioneller Landwirtschaft und Tierfabriken. Der Mensch tickt eben nicht nach der einfachen Logik »Einstellung gleich Verhalten«. Um Verhaltensänderungen zu erreichen, müssen weitere Einflussfaktoren wie Angebote und Infrastrukturen, Aufwand, Wissen und soziale Normen berücksichtigt werden.

Und es gibt weitere Parallelen zwischen Bio und Datenschutz. Ebenso wie die Verantwortung für die sozialökologische Ernährungswende nicht allein bei den Konsument:innen liegt, sondern mit strukturellen Veränderungen beispielsweise in der Agrarpolitik angegangen werden muss, ist auch Datenschutz kein individuell lösbares Problem. Das zeigt das jahrelange Gerangel um die europäische Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), die endlich mehr Rechte für Bürger:innen bedeutet. Ähnlich wie beim Agrarsektor zeichnen sich bei der europäischen Datenpolitik zudem starke Lobbybestrebungen gegen konsequente staatliche Regulierung ab. So standen die Gesetzgebungsverfahren zur DSGVO als auch zur ePrivacy-Verordnung unter extremem Lobbydruck einer Allianz aus Datenfirmen, Telekommunikationsanbietern, Tech-Riesen und der Online-Werbeindustrie.

Es ließe sich eine lehrreiche Geschichte der bewussten Ernährung als Reaktion auf die Auswüchse der Industrialisierung schreiben: Von der Reformbewegung über die ersten Bioläden der 1970er-Jahre bis zu den Bio- und Fairtrade-Regalen beim Discounter heute. Damit alternative Angebote keine Nische bleiben, braucht es Zeit, politischen Willen und zivilgesellschaftliche Initiativen, die unsere Interessen vertreten. Wo die europäischen Staaten bei der Regulierung von digitalem »Fast Food« und der Förderung alternativer Strukturen versagen, sollten wir konsequent darauf beharren – und derweil eine neue digitale Achtsamkeit kultivieren. Denn der Plattformkapitalismus ist von seinen Nutzer:innen abhängig und ein Profil ebenso schnell gelöscht wie angelegt – die Silicon-Valley-Zeitrechnung verfügt also über eine entschieden schnellere Taktung als die klassische Industrie, die Nutzer:innen haben größere Macht: Was waren nochmal Myspace, AOL oder ICQ?
 


 

VOLKER BERNHARD UND MAIKE GOSSEN gehören zum Arbeitskreis für zukunftsfähige Digitalität, der mit dem Rat für Digitale Ökologie zusammenarbeitet. An dieser Stelle hinterfragt der Arbeitskreis digitale Entwicklungen aus sozialökologischer Perspektive.

Erschienen in der taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik, Ausgabe 17