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Digitalisierung braucht eine aufgeklärte und konstruktive Diskussion. Wir liefern sie.
In aktuellen Debatten werden wahlweise künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Industrie 4.0, Cloud-Dienste oder Smart Devices als “the next big thing” angepriesen, als Wirtschaftswunder, die nebenbei das Klima retten. Ohne Zweifel bringen diese technischen Innovationen große Optimierungspotentiale und Komfortsteigerungen mit sich. Gleichzeitig missachten sie aber regelmäßig die Privatsphäre oder tragen zur Konzentration der Marktmacht auf eine Handvoll Tech-Konzerne bei.

In aktuellen Debatten werden wahlweise künstliche Intelligenz, autonomes Fahren, Industrie 4.0, Cloud-Dienste oder Smart Devices als “the next big thing” angepriesen, als Wirtschaftswunder, die nebenbei das Klima retten. Ohne Zweifel bringen diese technischen Innovationen große Optimierungspotentiale und Komfortsteigerungen mit sich. Gleichzeitig missachten sie aber regelmäßig die Privatsphäre oder tragen zur Konzentration der Marktmacht auf eine Handvoll Tech-Konzerne bei. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderung (WBGU) bezeichnete Digitalisierung zudem als Beschleuniger von Umweltproblemen und sozialer Ungleichheit. Der ambivalente Einfluss digitaler Technologien auf das Gemeinwohl lässt sich am Beispiel der algorithmischen Bilderkennung illustrieren: Sie kann einerseits Tumore identifizieren und Leben retten, aber andererseits auch Gesichter erkennen und Staaten bei der Überwachung ihrer Bürger*innen unterstützen.

Ob Rettung oder Verderben, der digitale Wandel wird in jedem Fall als unausweichlich verstanden: Die Digitalisierung „kommt“, gleich einer Naturgewalt. Es scheint fast, als bliebe der Gesellschaft nur noch, sich darauf einzustellen und mitzumachen. Weil Nachhaltigkeit aber kein Selbstläufer ist, betonen unter anderem der WBGU und das Umweltbundesministerium, dass digitale Technologien bewusst nach Maßstäben der Nachhaltigkeit gestaltet werden müssen. Dafür braucht es eine stärkere Einflussnahme der Akteure aus Zivilgesellschaft und Politik. Ein Schritt in die richtige Richtung sind die Forderungen für eine nachhaltige Digitalisierung der Bits&Bäume-Bewegung, an denen zehn zivilgesellschaftliche Organisationen mitgewirkt haben. Zum Beispiel hat der Chaos Computer Club eine netzpolitische Perspektive und der BUND e.V. eine Umweltperspektive eingebracht.

Doch wie aktuell in den Medien und von Expert*innen über digitale Technologien gesprochen wird, verhindert eine aktive Beteiligung eher, als sie zu fördern. Die angebliche Unausweichlichkeit des digitalen Wandels ist eine Verzerrung der Wahrnehmung, die für Ohnmacht sorgt. Ebenso bedenklich ist es, eine technologische Weiterentwicklung zur “Disruption” hochzustilisieren und Optimierungsalgorithmen als “Intelligenz” zu bezeichnen. Dadurch wird Digitalisierung zur Expertensache und die zivilgesellschaftliche Mitgestaltung erschwert. Die verkürzte Darstellung “der Digitalisierung” als ein einheitliches Gesamtkonstrukt tut ihr Übriges.

Problematisch ist auch, wenn technische Objekte zu Subjekten erklärt werden. An „künstlicher Intelligenz“ kann man das gut sehen. Man diskutiert nicht über profitorientierte Konzerne und ihre unethischen Geschäftspraktiken, sondern über die eingesetzten digitalen Werkzeuge. Wenn „die KI“ Arbeiter*innen in Fabriken ersetzt und „der Algorithmus“ über Kostenexternalisierung entscheidet, können Unternehmen und Politik jede Verantwortung für Menschenrechtsverletzung oder ökologische Zerstörung von sich weisen. Zudem erscheint die Technik dadurch als unkontrollierbar und nicht steuerbar. Eine weitere Verzerrung, denn sie wurde ja von Menschen entwickelt und wird von Menschen eingesetzt.
Zudem verzerrt ein weit verbreiteter Technikoptimismus die Auffassung der Digitalisierung. (Digitale) Technik mit Fortschritt gleichzusetzen und diesen als stets erwünscht zu erachten, entstammt einer quasi-religiösen Zuversicht: wo der Mensch versagt, werden künstliche Intelligenzen oder smarte Objekte unsere gesellschaftlichen und ökologischen Probleme lösen. Nun liegt es in der Natur wachstumsorientierter Unternehmen, Lösungen für tatsächliche und scheinbare Probleme anzubieten. Gerade deswegen sollte jedoch die Deutungshoheit nicht allein den Tech-Konzernen und Silicon Valleys überlassen werden.

Wenn aber das Denken über die Digitalisierung zukünftig nicht allein von ihren wirtschaftlichen Profiteur*innen diktiert werden soll, ist ein anderer, ein besser informierter und nüchterner Diskurs nötig. Es gilt, dominante Erzählungen und Buzzwords zu entzaubern und die verzerrte Schlussfolgerung, dass Digitalisierung homogen, allmächtig, unausweichlich und generell erwünscht ist, abzulegen. Dann steht vielmehr zur Debatte, wie technologische Innovationen so gestaltet werden, dass sie mit sozialen und ökologischen Zielen vereinbar sind. Und in gewissen Fällen können manche Technologien auch durchaus mal weggelassen werden. Denn für den gesellschaftlichen Fortschritt ist neben Innovation die Exnovation genauso wichtig: wenn sich herausstellt, dass eine Innovation der Gesellschaft schadet, kann man sie auch einfach wieder abschaffen.

Geht nicht? Tatsächlich hat die Stadt San Francisco – die bekanntermaßen im Zentrum der digitalen Revolution liegt – im Jahr 2019 den behördlichen Einsatz von Gesichtserkennungstechnologien untersagt. Geht doch!

 


 

VIVIAN FRICK und MAXIM KELLER gehören zum „Arbeitskreis für zukunftsfähige Digitalität“, der mit dem Rat für digitale Ökologie zusammenarbeitet. An dieser Stelle wird dieser Arbeitskreis künftig aktuelle digitale Entwicklungen hinterfragen und sozialökologische Perspektiven auf die Digitalisierung anbieten.

Erschienen in der taz FUTURZWEI, Magazin für Zukunft und Politik, Ausgabe 16